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Von Freiheit, dem gesunden Menschenverstand und Sizilien als Metapher der Welt

Von Freiheit, dem gesunden Menschenverstand und Sizilien als Metapher der Welt: Fabio Stassi über Sciascias "Affaire Moro"

ML: Welche Wirkkraft kann in deinen Augen heute, 2023, von Sciascias Affaire Moro für ein (deutschsprachiges) Publikum ausgehen – angesichts der darin verhandelten Fakten – Aldo Moro’s Entführung und Ermordung (und die seiner 5 Leibwächter) – die 45 Jahre zurückliegen?

 FS: Die Affaire Moro hat für mich in der Geschichte der italienischen Literatur den gleichen Stellenwert wie Alessandro Manzonis Geschichte der Schandsäule. Manzoni rekonstruiert hier auf der Grundlage zeitgenössischer Quellen einen Kriminalprozess in Mailand 1630: Zwei angebliche "Pestsalber", die die Mauern mit giftigen Substanzen beschmiert haben sollen, um die Seuche zu verbreiten, waren gefoltert, verurteilt und auf unvorstellbar grausame Art hingerichtet worden. Manzoni, der die Folter verabscheut, versucht gegen den Aufklärer Pietro Verri nachzuweisen, dass die Mailänder Richter auch gegen die zu ihrer Zeit geltende Rechtsauffassung verstoßen haben.

Leonardo Sciascia hingegen schreibt praktisch in Instant-Manier, a caldo, über die dramatischste und tragischste Episode der neueren italienischen Politik, d. h. der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts (Moros Tod Mai 1978, Sciascias Buch ging Ende August 1978 in den Druck). Dennoch haben beide Bücher eine gemeinsame rote Linie, denn Manzoni hat für Sciascia Modellcharakter.

Für beide Aufklärer - die größten und bedeutendsten des 19. bzw. 20. Jahrhunderts in Italien - handelt es sich um einen Appell an ihre Zeitgenossen, an die Menschheit überhaupt, doch ihren Platz auf der Seite der Realität und der Vernunft einzunehmen. Sich nicht leiten zu lassen von und zu stützen auf Vorurteilen, Aberglauben aller Art. Sein Urteil dem eigenen Verstand, dem „gesunden“ Menschverstand abzuringen. 

Ein Appell, der auch literarisches Manifest wird – zu dem, was die Literatur versuchen sollte zu sein und was sie bewirken sollte: Den Lesenden eine ganz spezielle Brille aufsetzen und sie damit befähigen und ermächtigen: zu deuten, was um sie herum und in der Welt geschieht, und die Vertuschungen, die top secrets, die Lügen und die Manipulationen der Macht und der Mächtigen aufzuschlüsseln, deren Sprache zu sezieren, sie dingfest zu machen.

In einer Zeit wie der unseren, in der Manipulationen der Wahrheit, auch dank der Möglichkeit ihrer weltweiten medialen Verbreitung/Massenkommunikation, jeden, auch den kleinsten und privatesten Raum besetzen (können), stellt Die Affaire Moro eine Erklärung des allumfassenden Widerstands gegen Verdrehung und Verfälschung unendlich vieler Narrative dar.

Die Affaire Moro ist das Vermächtnis eines freien Mannes, voll echten, humanen Mitleids gegenüber einem anderen Menschen. Die Bedeutung, der Wert dieses Werks („das Buch, das alle meine Bücher enthält“) liegt genau in der Bejahung, der Bekräftigung der Urteils- und der Kritikfreiheit - vereint in der menschlichen pietas, dem hohen Mitleid, der Solidarität.

Zwei Werte – Freiheit und Mitleiden – die unserer Zeit fremd sind. Meilenweit entfernt zu sein scheinen von einer Zeit, die bestimmt ist von maßlosem Wüten, Neid- und Rachegelüsten, Ressentiments und einer oberflächlichen wie voreiligen Akzeptanz jedweden herrschenden Denkens.

 ML: In deiner Doktorarbeit über den Verlag Sellerio editore Palermo hast du ein ganzes Kapitel diesem Werk von Sciascia gewidmet. Welche Rolle spielte Sciascia für das Verlagsabenteuer von Elvira und Enzo Sellerio?

 FS: Sciascia war einer der großen italienischen Verlagsherausgeber. Er liebte es, Bücher zu machen, und er liebte das verlegerische Handwerk als politischen Beitrag zur Gesellschaft; es war für ihn zugleich auch ein großes spielerisches Vergnügen und ein Lobgesang auf die Freundschaft; wobei er stets auf seine Autonomie und auf die Unabhängigkeit seines Denkens und seines Geschmacks pochte. In Italien hat man noch keine umfassende Wertschätzung von Sciascias Beitrag als literarischer Herausgeber.

Sciascia bedeutete für Sellerio editore das, was Cesare Pavese und Italo Calvino und Natalia Ginzburg für Einaudi waren, oder Elio Vittorini für Bompiani, oder Giacomo Debenedetti für Il Saggiatore, oder Roberto Calasso und Giorgio Manganelli für Adelphi und andere Verlage. Über zehn Jahre lang empfahl Sciascia Klassiker, italienische wie fremdsprachige, für eine Neupublikation; er begründete Programmreihen, eine davon „La Memoria“, die bis heute weitergeführt wird und eine der großen Erfindungen der italienischen Verlagsgeschichte darstellt. Sein Engagement war breitgefächert und allumfassend: Romane, Essays, persönliche Beiträge, Theatertexte, Pamphlets, Lyrik. Es gelang ihm auch, seine Leidenschaft für die sizilianische Geschichte und die sizilianische Literatur zu vermitteln. Nicht zuletzt gilt Sciascia als der Entdecker von Andrea Camilleri.

Sciascia schuf eine Brücke zwischen Palermo und Paris. Er stand mehr im Dialog mit ganz Europa als mit Italien als solchem, womit er dem Verlag Sellerio editore eine genaue internationale Öffnung verpasste. Er brachte Sizilien zurück zu seiner ursprünglichen kosmopolitischen kulturellen Vokation: Sizilien als Kreuzung, als Schmelztiegel zahlreicher Kulturen.

ML:  In dem Kapitel der Affaire, in der es um den Brief Aldo Moros vom 29. April 1978 an die DC geht – Moro weiß bereits, dass er sterben muss, seine Parteikumpane haben ihn zum Tod verurteilt, vermittels ihrer knallharten Nichtverhandlungs-Position und der strikten Weigerung, einem Gefangenenaustausch zuzustimmen – seziert Sciascia auf seine unnachahmliche Weise, mit der allerschärfsten Sprachlupe Moros Sprache – ein Meisterstück:

 Die Brigate rosse oder zumindest das Kommando, das Moro gefangen hält, haben ihn also zum Vermittler bei einer möglichen Verhandlung auserkoren und haben ihm den letzten Preis genannt – einen symbolischen oder für sie tatsächlich wichtigen -, dessen Bezahlung sie vom Staat verlangen. Moro macht daraus eine ziemlich explizite Avance [aus „manch einem“ genau „einen“ machend] (nämlich einen einzigen der noch nicht im Gefängnis sitzenden Terroristen ins Exil zu schicken; EINEN einzigen gegen das Leben von Moro, ML). Aber diese Avance wird nicht verstanden von denen, die sie verstehen sollen. Jetzt lautet das Angebot 31 und 47, was in der sizilianischen Kabbala des Lottos steht für „Toter der spricht“. Der in den Träumen oder in den Alpträumen der Freunde spricht. Der immerzu sprechen wird. (Leonardo Sciascia Die Affaire Moro. Ein Roman, Ü Monika Lustig, S. 110)

 Ich war ein wenig erstaunt – obwohl ich diese Chiffrierung, die Sciascia’sche Interpretation anhand der jüdischen Zahlenmystik der ewigen Verdammung seiner Freunde, die sein Leben eiskalt und ausschließlich ihren Machtinteressen opferten, für höchstgelungen und aussagekräftig in diesem ihrem dreckigen Spiel halte – dennoch, ein Aufklärer wie Sciascia, ein Verstandesmensch ... wie geht das zusammen mit der Kabbala?

FS: Nach Sciascias Überzeugung haben Sizilianer und Juden viele Dinge gemein. Die scharfe, unmittelbare Intelligenz, aber auch ein elementares Gefühl der Diaspora, gezwungen zu sein, ewig auf Wanderschaft durch die Welt zu gehen. Die negierten Kulturen, oder die, die (aufs Blutigste) bekämpft werden, denen stets Hindernisse in den Weg gelegt werden, sind – da sie sich als kulturelle Identität gegenüber den anderen Kulturen ständig verteidigen müssen – immer die stärkeren. Denn es geht ums Überleben.

Die sizilianische Kultur, die Sizilianer haben ein ambivalentes Verhältnis zum Meer: Sie nähren gegenüber dem Meer eine Art Misstrauen, denn vom Meer her können Bedrohung, Gefahren, Invasoren kommen – und historisch gesehen, sind diese tatsächlich gekommen. Das Meer grenzt diese Kultur ein, es ist die Grenzlinie, die es zu überwinden gilt. Aber es ist auch schutzbietende Barriere. Sciascia spürte und verstand diesen Widerspruch, wie ihn alle Sizilianer empfinden: Das Bedürfnis, der Wunsch, dieses Meer zu überqueren und sich mit einer größeren, weiterreichenden Welt zu vereinen, mit Europa, insbesondere.

Zugleich ist da aber auch die Verlockung der heimischen Ecke, der schutzbietenden „Höhle“, des Verstecks. Die Lust, jener weiten Welt fernzubleiben, draußen zu bleiben. Und sich nur dem Inneren der eigenen Insel zuzuwenden und aus ihr das Zentrum der Welt zu machen. Der Kern, die Basis aller Beobachtungen und allen Denkens zu machen.

 Viterbo / Rom / Karlsruhe, Juni 2023

 "Die Affaire Moro. Ein Roman" ist Teil des EU-kofinanzierten Projektes "Grenzenloses Mittelmeer - ein vielsprachig gewobener Teppich"



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